Christoph Westermeier
Der Paragraf, 2025
18 x PVC-Folien auf Fensterscheiben
Ausstellung im Luitpoldblock, 22. März - 31. Juli 2025
Eröffnung: Freitag, 21. März 2025, 17 Uhr
RECHERCHE IM FORUM QUEERES ARCHIV MÜNCHEN UND KÜNSTLERISCHE HERANGEHENSWEISE
Wenn ich mich als Künstler einem Archiv nähere, dann tue ich das nicht von einem wissenschaftlichen, sondern von einem künstlerischen Standpunkt aus. Ich betrachte keine abgeschlossenen Relikte einer vergangenen Zeit, sondern begegne kollegialen Positionen, mit denen ich in einen Dialog trete. Im Forum Queeres Archiv München traf ich so Charles Grieger (1902-1972) und Viktor Heye (1907-1975), die beide ganz unterschiedlich Betroffene des §175 waren.
Der §175 wurde als „Schwulenparagraf“ bezeichnet, da er die “gleichgeschlechtliche Unzucht“ zwischen Männern verbot. Der §175 war der einzige Paragraf, der in verschärfter Form nach 1945 und bis 1969 unverändert in Kraft blieb. Das NS-Regime inhaftierte 50.000 Männer und brachte 5.000 – 6.000 in Konzentrationslager. Dies hatte zur Folge, dass ehemalige KZ-Inhaftierte keine Entschädigung beantragen konnten, da sie sich im Falle eines Schadensersatzes einer Straftat bekundet hätten. Ehemalige Strafgefangene mussten ihre Gefängnisstrafe unverändert absitzen.
In der BRD wurden ca. 50.000 Männer weiterhin wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht verurteilt und erst nach der endgültigen Streichung des Paragrafen 1994 konnte mit einer schrittweisen Aufarbeitung begonnen werden.
BEGEGNUNG MIT CHARLES GRIEGER UND VIKTOR HEYE
Der Publizist Charles Grieger nutze seine graphischen und künstlerischen Fähigkeiten, um gegen die Restriktionen der Nachkriegsgesellschaft zu rebellieren. In der NS-Zeit hatte er bereits mit dadaistischen Graphikmappen gegen die nationalsozialistische Doktrin und den Militarismus rebelliert. Die von Grieger ab 1945 verlegten Zeitschriften PAN, Die Freunde, Wir Freundinnen, Die Freundschaft, Hellas und Humanitas wurden alle nach kurzer Zeit als „sittenwidrig“ verboten und mussten eigene Wege der Distribution finden. Im Forum Queeres Archiv München befindet sich das gesamte Konvolut der von Grieger herausgegebenen Zeitschrift Zwischen den Andern, die nur für kurze Zeit bestand. Im Impressum der Zeitschrift steht: „Diese Schriftenreihe ist im Handel nicht erhältlich und kein Geschäftsunternehmen.“
Für die Präsentation im Luitpoldblock wurden Fragmente daraus fotografisch aufgenommen und in die Gegenwart transferiert. Sie zeigen einen queeren Diskurs zwischen Verbot, Bildung, Glamour und Identität. Fotografische Fragmente aus der Zeitschrift Zwischen den Andern treten in einen künstlerischen Dialog mit dem persönlichen Lebensalbum von Viktor Heye. Dieses Lebensalbum spannt einen liebevoll mit Collagen und Zeichnungen gestalteten Bogen von den 1930er Jahren bis in die 1970er Jahre. Das Album kam als Flohmarktfund in das Forum Queeres Archiv München und wurde bereits 2022 im Haus der Kunst im Rahmen der Ausstellung Archives in Residence der Öffentlichkeit vorgestellt.
Im Zuge der Ausstellung Ein Haus ohne Mauern bauen konnte nun erstmals die Person Viktor Heye aus dem Schatten seines Albums heraustreten. Heye wurde 1907 in Bernkastel geboren und lebte ab 1932 als Handelsvertreter im europäischen Ausland. 1938 siedelte er nach Indien über und wurde bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in einem zivilen Internierungslager interniert. Nach Kriegsende kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete ab 1947 für die American Express Company in München. Er lebte in Schwabing, wo er 1975 starb.
Im Staatsarchiv München findet sich eine ausführliche Spruchkammer-Akte zu Heye, die dokumentiert, wie er als Parteimitglied angeklagt wurde und mit seinem Rechtsanwalt Einspruch einlegte, um als Mitläufer gemäß Artikel 12 eingeordnet zu werden. Der Einspruch des Rechtsanwalts endet mit der Feststellung: „Zusammenfassend ist festzustellen, dass der in jungen Jahren in die Partei eingetretene Betroffene, nur nominell Parteimitglied war, an den Parteiveranstaltungen anfänglich nur insoweit teilnahm, als diese Zwang waren. Schon im Jahre 1933 wandte er sich ganz vom Nationalsozialismus ab. Seine nominelle Mitgliedschaft bei der Partei hielt er nur deshalb aufrecht, weil ohne diese Mitgliedschaft in Indien Beschäftigte bei einer deutschen Firma so gut wie unmöglich war. Er kann lediglich als Mitläufer bezeichnet werden.“ Das Verfahren wurde im März 1948 eingestellt und Viktor Heye trat danach nicht mehr mit dem Gesetz in Konflikt.
In seinem Lebensalbum ist davon nichts zu sehen. Wir sehen das Leben eines Mannes zwischen Schloss Rheinsberg und den Alpen, es gibt Bilder aus dem Berliner Olympiastadion mit zum Hitlergruß erhobenen Händen und Hintergründe, die auf außereuropäische Aufenthalte hinweisen; aber das vorherrschende Thema sind Darstellungen von Männern, bekleidet und nackt, von jung bis alt. Die Bilder zeigen ein freizügiges schwules Leben mit FKK und Fasching und nichts lässt erahnen, dass diese Leben im Verborgenen stattfinden mussten.
LEBEN IN DER VERBORGENHEIT
Viktor Heye scheint es gelungen zu sein, ein gut integriertes Leben in der Münchner Schwulenszene zu führen, ohne wegen des §175 behelligt zu werden. Charles Grieger entschied sich für einen Andern [ist das mit Absicht, heißt es nicht anderen?] Weg. Zwar ist kein Fall dokumentiert, bei dem er wegen Unzucht verurteilt wurde, doch führte seine publizistische Arbeit wiederholt zu juristischen Auseinandersetzungen. Dabei waren seine Magazine keinesfalls pornografisch, sondern suchten eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem §175 und stellten queere Geschichte schöngeistig der interessierten Öffentlichkeit vor.
Bei den hier verarbeiten Ausschnitten wird dieser Diskurs offensichtlich und verweist auf den Luitpoldblock als gesellschaftsträchtigen Begegnungsort. Das Film- und Gastronomiegeschäft sowie der Rote Teppich haben seit jeher eine Affinität für das, was Susan Sontag als camp bezeichnet und das ein immanenter Bestandteil von queerer Identität ist. Wir wissen nicht, ob Viktor Heye Abonnent der Zeitschriften von Charles Geiger war und ob er oft im Luitpoldblock verkehrte. Was wir aber wissen, ist, dass beide stellvertretend für die Irrungen und Wirrungen und den Kampf um ein selbstbestimmtes queeres Leben im 20. Jahrhundert stehen.
VERWENDETE ARCHIVALIEN
„Zwischen den Andern“, alle Ausgaben der gleichnamigen Zeitschrift, zusammengebunden mit einem Faden, 1956-1957, 30 x 21 x 6 cm, Forum Queeres Archiv München
FOTO
Links: Fotografie von Christoph Westermeier aus der Zeitschrift „Zwischen den Andern“, 1956-1957, Forum Queeres Archiv München, VG-Bildkunst 2024
Cora Piantoni & Caroline Sternberg, 2025
Kontakt: webmaster@hausohnemauern.de
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